Zeitungsartikel im Walliser Boten vom 31.10.1974
Nicht jedes Dorf kann sich rühmen, eine Burgerfahne von einem Kaiser erhalten zu haben, und nicht jedes Dorf hat einen Ehrenburger, der sich einer so wertvollen Fahne liebevoll annimmt.
Simplon-Dorf hat beides: die Fahne und den Ehrenburger. Dr. H. Lauber, Langenfeld/Deutschland, hat sich des alten Banners angenommen und seinen Bericht über die Odyssee der kaiserlichen Fahne
möchten wir unsern Lesern nicht vorenthalten.
Am 1. August dieses Jahres hat Simplon-Dorf Dr. Lauber eine Standarte mit dem Burger- und dem Lauberwappen übergeben und damit den tiefen Dank für die grosse Arbeit ausgedrückt. Die ganze
Geschichte dieser Restaurierung zeigt aber auch auf, was für Wurzeln unsere Burgerschaften haben und wie tief zurück uns selbst ein Stück Tuch führen kann, um uns zu zeigen, dass immer der Mensch
Mittelpunkt ist und bleibt, wenn auch die Lebensformen sich ändern.
Die Burgerfahne von Simplon-Dorf ist so Dokument geworden und nimmt künftig im Gemeindearchiv einen Ehrenplatz ein. Wir hoffen, dass gerade dieses Beispiel zünde und auch andere Gemeinden Umschau
halten nach wertvollen Zeugen aus vergangenen Tagen und Sorge tragen zu diesen Zeugen. Bestimmt gäbe es in dieser Hinsicht noch manches zu retten.
Die Fahne
Nach der bekannten Monographie des H. H. Pfarrers P. Arnold “Der Simplon, zur Geschichte des Passes und des Dorfes” soll Kaiser Franz I. von Oesterreich der Gemeinde eine Fahne geschenkt haben. Wörtlich heisst es auf Seite 229: “Wirklich trägt das Banner auf roter Seide auf beiden Seiten den österreichischen Adler in Gold gestickt mit der Umschrift “Communitas Semproniensis 1817″. Auch ist von dieser Zeit an der Reichsadler im Gemeindewappen. Dieser Meinung gegenüber steht eine Notiz im Gemeindearchiv, die besagt, dass am 2. Januar 1817 der Kastlan Kaspar Teiler von Simplon mit einem gewissen Carlo Giroldi aus Zernasco (Val Vigezzo) einen Vertrag abgeschlossen hat, in dem sich Giroldi verpflichtet um den Preis von 5 1/2 Louis d’Or eine Fahne zu liefern. Sollte die Fahne den Gefallen der Bevölkerung finden, dann hätte der Lieferant noch Anrecht auf ein schönes Trinkgeld. Am 14. September 1817 erhält Giroldi für die gelieferte Fahne in Simplon 5 1/2 Louis d’Or und 2 Taler Trinkgeld. Dass der Kaiser die Fahne bezahlt hatte, steht nicht dabei. Wie dem auch sein mag, die Bürger von Simplon halten die ehrwürdige Fahne heute noch in Ehren, sei sie nun kaiserlich oder bürgerlich.”
Nun, im Sommer 1972 während eines Ferienaufenthaltes im Dorf erzählten mit Präsident Dr. Gregor Escher und der Gemeinderat von der alten Fahne, die zerfetzt in einem Schrank des Gemeindesaales
liege und baten mich, Erkundigungen einzuziehen, an welcher Stelle eine Restauration in Frage komme. Vorsichtshalber und klugerweise packte mir Oskar Escher die Fahne, die einen langen,
senkrechten Riss durch ihre Mitte hatte und in dem mittelständigen Adler weitgehend zertrümmert war, in einen Pappkarton und so zog ich nach Deutschland.
Beginn der Odyssee
Hier befragte ich mich bei dem Landeskonservator Dr. Borchers, der für die Erhaltung und Restauration von Kunstschätzen aus dem Rheinland zuständig und ein weithin bekannter Fachmann ist, nach Möglichkeiten. Dr. Borchers war hinsichtlich von Fahnen jedoch ratlos, bemühte sich aber, eine Quelle ausfindig zu machen und liess sie mir dann mitteilen, und damit begann eigentlich die Odyssee der Fahne. In Krefeld, bei der Fachhochschule für Textilwesen befinde sich ein Museum mit Restaurationswerkstätte für antike Textilien, und ich solle mich mit Frau Dr. Renate Jaques, der Leiterin dieses Institutes in Verbindung setzen. Dies konnte schliesslich nach komplizierten Verabredungen erfolgen, ich begab mich nach Krefeld in der Erwartung, eine kaprizöse Französin anzutreffen, begegnete jedoch einer stabilen schlesischen Dame mittleren Alters, die zunächst ihren Aerger über ihre ungeratenen Mitarbeiter bei mir ablud, weil sie offensichtlich Kenntnis davon hatte, dass ich von Berufs wegen mit dem Aeger anderer Leute zu tun habe. Nachdem dies schliesslich zur Ausgeglichenheit geführt hatte, schleppte mich Frau Dr. Jaques in ihr Museum, das ich eigentlich gar nicht sehen wollte.
Für die Fahne hatte sie sich noch nicht interessiert. Wie es aber oft zu gehen pflegt, wenn man keine sonderliche Neigung zu irgend einer Sache hat, zog mich dieses Museum doch sehr schnell in seinen Bann, weil mir zahlreiche alte Stoffe und Gewebe gezeigt wurden, teilweise 1000 und 2000 Jahre alt, aus Fürsten- und Bischofsgräbern, koptischen Kirchenschätzen und dergl. Ich hatte nie vorher in meinem Leben so zauberhaft schöne Stoffe und Stickereien gesehen und war voll des Erstaunens darüber, dass vor so langer Zeit schon so wertvolles Gewebe hergestellt worden war. Erst dabei wurde mir klar, was in alten Geschichten und Sagen die Erwähnung von wertvollen Damasten und Seiden aus dem Morgenland bedeutet haben muss. Jedenfalls konnte ich sehen, dass heute sicherlich nicht mehr solche grossartigen Stoffe gemacht werden. Schliesslich – nach 2-3 Stunden – zog mich Frau Dr. Jaques an die Seite und meinte, wir sollten uns doch einmal die Fahne ansehen. Dies geschah, und ich erfuhr sogleich, dass unsere Fahne in Krefeld nicht restauriert werden könne, weil diese Art zu restaurieren im Krefelder Institut nicht üblich sei, die richtige Fachmännin sitze vielmehr als Vizedirektorin des Schweizer Landesmuseums in Zürich und heisse Dr. Jenny Schneider.
Von Zürich über Amsterdam nach Haarlem
Mit einer Empfehlung von Frau Dr. Jaques wandte ich mich schliesslich brieflich an diese Dame, erfuhr von dort, dass das Landesmuseum in Zürich so sehr mit Aufträgen überlastet sei, dass erst in mehreren Jahren an eine Annahme des Auftrages gedacht werden könne. Auch Präsident Dr. Gregor Escher erreichte hier keinen Milderungsgrund, so dass ich mich schliesslich schriftlich an das von Zürich empfohlene Rijksmuseum in Amsterdam wandte, bei dem ein Fachmann namens Bloedhouwer (gesprochen: Bluthauer) tätig ist. Auch dieser teilte mir dann mit, dass das Rijksmuseum mit Aufträgen auf Jahre hin überlastet sei, aber in Haarlem in Holland eine Restaurationswerkstatt für antike Textilien eine gleiche Restaurationstechnik wie in Amsterdam und in Zürich ausführe. Die Stelle sei empfehlenswert.
Nun, unsere Fahne wollte ich doch nicht einem anonymen Institut überlassen und fragte deshalb noch einmal bei Frau Dr. Schneider in Zürich, erhielt beste Empfehlung für das Institut und seinen Leiter, Herrn Lodewijks, der sich dann nach schriftlicher Anmeldung auch bereit erklärte, unsere Fahne einmal anzusehen.
Gute Arbeit
Also fuhr ich mit meinem Pappkarton nach Holland, breitete unseren Schatz vor dem Sachverständigen aus, allerdings erst, nachdem ich andere Fahnen aus der holländischen Armee und von Schützenvereinen und Musikkapellen gesehen hatte, die dort restauriert worden waren. Soweit ich dies beurteilen konnte, waren die Arbeiten sauber, korrekt und mit offensichtlicher Liebe zur Sache erstellt worden, so dass ich keine Bedenken hatte, meinen “Kronschatz” dort zur Bearbeitung zu lassen. Ein Kronschatz war es denn eigentlich doch nicht, weil die 3 Kronen, die im Gemeindewappen über den beiden Köpfen des Adlers schweben, auf der Fahne nicht vorhanden sind. Nun fuhr ich also leicht besorgt zurück, bis ich kurz vor Weihnachten 1973 durch einen telefonischen Anruf erfuhr, die Fahne sei fertig, ich müsse sie aber persönlich abholen, weil der Transport mit Post oder Bahn zu gefährlich sei.
Dies geschah dann und in Haarlem erfuhr ich, dass die Fahne nicht mehr zusammengefaltet werden dürfe, um Bruchlinien zu vermeiden. Ich sag sie, aufgeklebt auf einer hauchdünnen Kunststofffolie, gereinigt und in einer Verfassung, die die Restauratoren sicher begeisterte. Man rollte die Fahne wie einen Teppich zusammen, die entstandene Rolle war etwas länger als 2 m und mit leichtem Zagen wegen der Zollgrenze bestieg ich die Eisenbahn, in der ich die Fahne vorsichtshalber auf dem Gepäcksnetz hinter meinem Mantel verbarg. Ohne Schwierigkeiten brachte ich sie auch nach Düsseldorf, verliess den Zug, verstaute die Rolle mit einigen Schwierigkeiten im Auto und so lagerte sie bis zum Weitertransport nach Simplon-Dorf, der zu einem Wochenende im März erfolgen konnte.
Zurück ins Dorf
Nicht ganz wohl war mir im Schlafwagen der Eisenbahn mit der langen Rolle, weil ich wieder den Zoll fürchten musste. Ein Zollbeamter aus der Gegend meines Wohnortes hatte mir auf Befragen erklärt, eigentlich hätte ich einen Antrag stellen müssen zur Ausführung “zwecks Veredlungsverkehr” oder so ähnlich. Das Verfahren schien mir aber so kompliziert, dass ich Zeit und Mühe scheute, es anzuwenden. Erst beim Beginn der Reise wurde mir klar, dass mögliche Schwierigkeiten im Raum standen, aber irgendwie habe ich doch die Empfindung gehabt, dass Schmuggel gelegentlich ein ehrbares Geschäft sei. So gelangte denn unsere Rolle friedlich bis nach Brig und ebenso friedlich mit dem Auto von Willi Arnold ins Dorf”
So schreibt Ehrenburger Dr. Lauber die Odyssee einer Fahne, und wir danken ihm für die Sorge um die Fahne und den netten Bericht. Hoffen wir, dass die Fahne wie Dr. Lauber meinte, noch lange der Gemeinde und Burgerschaft Anlass zu stolzer Freude sein wird.